Arbeitszeit
4-Tage-Woche in Deutschland: Führt eine kurze Arbeitswoche zu weniger Stress?
- Aktualisiert: 16.05.2024
- 13:23 Uhr
- André Marston Alvarez
Seit Februar läuft in Deutschland ein großflächig angelegtes Pilot-Projekt, in dem 45 Unternehmen die 4-Tage-Woche testen. Was dahinter steckt und wie sich eine geringere Arbeitszeit auf die Angestellten auswirkt.
Das Wichtigste in Kürze zur 4-Tage-Woche
Deutschlandweit startete im Februar ein Pilotprojekt zur 4-Tage-Woche, an dem sich 45 Firmen aus unterschiedlichsten Bereichen beteiligen.
Die Arbeitszeit wird bei vollem Lohnausgleich bei den meisten um zehn bis zwanzig Prozent reduziert.
Vor allem auf Arbeitgeber:innenseite wirft das Modell Kritik auf.
Das Problem, so die Unternehmen: Wegen des Fachkräfte-Mangels gebe es kein neues Personal, um die fehlende Arbeitszeit auszugleichen.
Wie sich die 4-Tage-Woche auf die Arbeitnehmer:innen auswirkt, findet "Galileo" heute Abend heraus.
Inhalt
- Führt die 4-Tage-Woche zu weniger Stress?
- Deutschland: Pilotprojekt mit 45 Unternehmen
- Großbritannien: Großer Erfolg der 4-Tage-Woche
- So sieht Belgiens 4-Tage-Modell aus
- Auch Island testete erfolgreich die 4-Tage-Woche
- Mehr freie Zeit, weniger Geld? Was passiert mit dem Lohn?
- 4-Tage-Woche: Das sagen Kritiker:innen
- 4-Tage-Woche: Alternde Bevölkerung und Fachkräftemangel als Problem
- Die häufigsten Fragen zur 4-Tage Woche
Führt die 4-Tage-Woche zu weniger Stress?
Deutschland: Pilotprojekt mit 45 Unternehmen
🇩🇪 Seit dem 1. Februar läuft ein deutschlandweites Pilotprojekt, bei dem 45 Unternehmen die 4-Tage-Woche bei gleichem Lohn testen.
👩🎓 Das Ganze wird wissenschaftlich von der Uni Münster begleitet. Dabei sollen folgende Fragen geklärt werden: Klappt es mit der Arbeitsorganisation? Wie sieht es mit der Zufriedenheit aus? Wie entwickelt sich der Stress-Pegel? Auch Schlafdaten werden erhoben.
⏰ Ein Unternehmen, das teilnimmt, ist Feedbackpeople aus Greven. Dort wird die Arbeitszeit beispielsweise um zehn Prozent für Mitarbeiter:innen der Zentrale reduziert, an vier Tagen wird jetzt neun Stunden täglich gearbeitet, statt wie bisher acht Stunden.
Großbritannien: Großer Erfolg der 4-Tage-Woche
🇬🇧 In Großbritannien wurde 2022 eine sechsmonatige Studie zur 4-Tage-Woche durchgeführt. 2.900 Angestellte aus 61 Unternehmen nahmen teil.
💡 39 Prozent gaben nach der Studie an, weniger gestresst zu sein, 71 Prozent sprachen von einem niedrigeren Burn-out-Level. Die Einnahmen der Unternehmen stieg in dem Testzeitraum um 1,4 Prozent an. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der Kündigungen auf weniger als die Hälfte. Zudem wurden 65 Prozent weniger Krankheitstage verzeichnet.
👨💻 Damit ist das britische Experiment das bisher größte dieser Art.
💼 18 der beteiligte Unternehmen haben sich bereits für eine dauerhafte Einrichtung der reduzierten Arbeitszeit entschieden. Viele weitere wollen es zu mindestens testweise beibehalten.
Im Video: Welche Auswirkungen hat die 4-Tage-Woche auf die Angestellten?
So sieht Belgiens 4-Tage-Modell aus
In Belgien ist die 4-Tage-Woche mittlerweile per Gesetz offiziell verankert. Für belgische Angestellte bedeutet das: Sie dürfen selbst flexibel entscheiden, ob sie an vier oder fünf Tagen pro Woche arbeiten wollen - bei gleichbleibendem Arbeitspensum und Lohn. Arbeitnehmer:innen könnten also an einzelnen Tagen auch länger arbeiten, um dafür drei Tage Wochenende zu haben.
Belgiens Premierminister Alexander De Croo erhofft sich, das Berufsleben mithilfe der Arbeitsmarkt-Reform freier zu gestalten. "Der erste Pfeiler ist, den Arbeitern mehr Flexibilität, mehr Freiheit zu geben", so De Croo. Das käme der Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben zugute.
Auch Island testete erfolgreich die 4-Tage-Woche
🇮🇸 Die wöchentliche Arbeitszeit gehört in Island zu den höchsten weltweit. Bedeutet im Umkehrschluss: weniger Zeit für die Familie und Hobbys - und ein höheres Gesundheitsrisiko.
👨🔬 Damit sich das in dem Inselstaat mit rund 350.000 Einwohner:innen ändert, fanden in den vergangenen Jahren zwei Feldversuche zu verringerter Arbeitszeit statt. Knapp 2.500 Beschäftigte nahmen an ihnen teil.
🤩 Indem überflüssige Aufgaben gestrichen wurden, reduzierte sich die Arbeitszeit. Ergebnis des Experiments: Die Produktivität der Arbeitskräfte blieb trotzdem gleich oder erhöhte sich sogar.
👍 Mittlerweile ist das Konzept etabliert: Knapp 85 Prozent der Beschäftigten, die die Option wählen konnten, entschieden sich für die 4-Tage-Woche.
Spanien plant Pilotprojekt
🇪🇸 Auch Spanien will die 4-Tage-Woche testweise einführen. Startet das Pilotprojekt, ist es das weltweit größte dieser Art.
🏢 Der Plan: 200 bis 400 Unternehmen können sich anmelden, um an der Studie teilzunehmen. Obwohl der offizielle Startschuss noch nicht fiel, bieten einzelne Firmen ihren Arbeitskräften schon ein verlängertes Wochenende an.
💶 Das Projekt soll durch 50 Millionen Euro finanziert werden. So minimieren die teilnehmenden Unternehmen ihre Risiken.
👨🏻💼 Die 4-Tage-Woche soll nicht nur das Wohlbefinden der Angestellten erhöhen, sondern auch ihre Produktivität. So könnte das Modell auch der Wirtschaft zugutekommen.
Wie stehst du zur 4-Tage-Woche?
Mehr freie Zeit, weniger Geld? Was passiert mit dem Lohn?
Ein wichtiger Aspekt bei der Diskussion um eine kürzere Arbeitswoche ist der Lohn. Bekommst du weiterhin den gleichen Monatslohn für weniger Arbeitstage?
Ein voller Lohnausgleich bedeutet: Der Stundenlohn wird so erhöht, dass das Monatsgehalt gleich bleibt. Kein Lohnausgleich bedeutet: Man bekommt am Ende des Monats weniger Geld.
Expert:innen meinen: Wie ein Lohnausgleich aussehen könnte, sollte von der jeweiligen Branche und dem Verdienst abhängen.
So sieht der Ansatz der IG Metall aus
Die Industrie steht am Anfang eines Struktur-Wandels, der bereits jetzt - auch abseits der Nachwirkungen der Corona-Krise - Jobs kostet.
Laut einer Studie der nationalen Plattform "Zukunft der Mobilität" (NPM) seien allein in Deutschland durch die Umstellung auf Elektro-Autos bis 2030 rund 400.000 Arbeitsplätze gefährdet. Grund: Für den Bau von Elektro-Motoren wird deutlich weniger Personal gebraucht als für herkömmliche Antriebe.
Um möglichst viele Jobs zu sichern, wäre die 4-Tage-Woche laut IG-Metall-Chef Jörg Hofmann eine gute Option. Er fordert keine generelle Verkürzung der Arbeitszeit. Aber um Stellenabbau zu vermeiden, sollte man das Modell bei Verhandlungen zwischen Unternehmen und Betriebsräten in Erwägung ziehen. Hofmann wünsche sich jedoch einen "gewissen Lohnausgleich, damit es sich die Mitarbeiter leisten können."
Dem Ansatz der IG Metall steht auch der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil offen gegenüber: "Reduzierte Arbeitszeit bei teilweisem Lohnausgleich kann eine geeignete Maßnahme sein, wenn sich die Sozialpartner darauf verständigen."
Eine 4-Tage-Woche würde in der Metall-Industrie übrigens eine 28-Stunden-Woche bedeuten. Seit den 90er-Jahren gilt in der Branche eine 35-Stunden-Woche.
Im Video: Weniger arbeiten, gleiches Gehalt - so funktioniert's!
Mehr Produktivität durch bessere Life-Work-Balance
- Katja Kipping, ehemalige Vorsitzende der Linkspartei, ging 2020 einen Schritt weiter und schlug eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden für alle Beschäftigten vor - bei vollem Lohnausgleich.
- Die kürzere Arbeitszeit mache die Menschen gesünder, glücklicher und produktiver. Davon würden auch die Unternehmen profitieren, weil Mitarbeiter:innen weniger Fehler machten, motivierter und seltener krank seien.
- Eine 4-Tage-Woche könne zudem für mehr Gleichberechtigung sorgen. Paare müssten sich seltener entscheiden, wer für die Kinder kürzertreten muss.
- Um die Idee attraktiver zu machen, schlug sie eine Anschub-Finanzierung vor. Zuerst zahlt der Staat den Lohnzuschuss an die Unternehmen, die die Arbeitszeit verkürzen. Anschließend müssten Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen ohne staatliche Finanzierungen abgeschlossen werden.
- Die Linken setzen sich auch weiterhin für reduzierte Arbeitszeit ein: In ihrem Wahlprogramm 2021 listete die Partei eine Arbeitswoche um die 30 Stunden auf.
4-Tage-Woche: Das sagen Kritiker:innen
- Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hält die Einführung einer 4-Tage-Woche nur für machbar, wenn auf vollen Lohnausgleich verzichtet wird. Denn der bedeute steigende Kosten für Unternehmen.
- Ein weiterer Kritikpunkt: Eine 4-Tage-Woche sei in Arbeits-Bereichen, die von einem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel betroffen sind, nicht realistisch.
- Andere Expert:innen finden, dass die Reduzierung der Wochen-Arbeitszeit in Krisenzeiten für bestimmte Unternehmen sinnvoll sei, flächendeckend aber nicht. Stellen müssten doppelt (oder dreifach) besetzt werden. Dadurch würden Einstellungs-, Trainingskosten sowie Versicherungs-Beiträge mehrfach fällig.
- Auch wird immer wieder angemerkt, dass die Digitalisierung langfristig nicht zu weniger Arbeit, sondern lediglich anderer Arbeit führen würde.
4-Tage-Woche: Alternde Bevölkerung und Fachkräftemangel als Problem
Die Bundesagentur für Arbeit meldete im Mai 2023 mehr als 760.000 offene Stellen. Im Zwölf-Monats-Durchschnitt von Juli 2021 bis Juli 2022 gab es eine "Fachkräftelücke" von fast 540.000 Stellen - für eine halbe Million Stellen wurden keine passend qualifizierten Menschen auf dem Arbeitsmarkt gefunden.
Besonders gefragt sind Fachkräfte und teilweise Spezialist:innen in Bereichen wie Medizin, Pflege, Logistik, Verkauf, Erziehung, Gastronomie, Elektronik und Metallverarbeitung. Fachkräfte haben mindestens eine zweijährige Berufsausbildung, Spezialist:innen eine Meister-, Technikerausbildung oder eine ähnliche Qualifikation. Expert:innen verfügen über ein mindestens vierjähriges Hochschulstudium oder eine äquivalente Ausbildung und werden vor allem in Bereichen wie Medizin, Bau, Bildung, Softwareentwicklung sowie Rechts- und Steuerberatung gesucht.
Der Fachkräftemangel wurde in einigen Berufsfeldern durch die Coronapandemie verstärkt, da viele Fachkräfte, zum Beispiel aus der Gastronomie, in andere Branchen gewechselt sind. Der demografische Wandel Deutschlands wirkt sich ebenfalls aus, da mehr Arbeitskräfte das Rentenalter erreichen als junge Menschen in den Arbeitsmarkt eintreten.
Auch Siemens warnt deshalb vor der 4-Tage-Woche. Das Unternehmen gehört mit rund 320.00 Angestellten zu den größten privaten Arbeitgebern in Deutschland. Das Zeitmodell gebe es bei Siemens wohl schon, werde aber nur von wenigen Angestellten beansprucht. Im Hinblick auf die alternde Bevölkerung und den Fachkräftemangel sei die Debatte über die 4-Tage-Woche "heikel". Im Jahresschnitt sollen Menschen in Deutschland bereits heute etwa 500 Stunden weniger arbeiten als in den USA. Etwa 40 Prozent der Arbeitnehmer:innen von Siemens in Deutschland seien über 50 Jahre alt. Ein Viertel Mitte 50 oder älter. In den nächsten zehn Jahren muss Siemens bei einem gleichbleibenden Personalstand 20.000 Stellen mit Fachkräften neu besetzen.