Neandertaler: War er wirklich der nächste Verwandte des Menschen?
- Veröffentlicht: 16.11.2021
- 07:45 Uhr
- Sven Hasselberg
Ist der Neandertaler gar nicht unser nächster Verwandter? War er kein Europäer? Warum Schädelfunde der Urmenschen Homo longi und Nesher-Ramla-Homo Forschende jetzt zweifeln lassen. Im Clip: So lief die menschliche Evolution ab.
Das Wichtigste zum Thema Neandertaler
Neandertaler lebten vor 400.000 Jahren und verschwanden vor etwa 40.000 Jahren. Sie gelten als intelligente Jäger, beherrschten wahrscheinlich eine einfache Sprache und wurden vom modernen Menschen, Homo sapiens, verdrängt.
Forschende gingen bisher davon aus, dass Neandertaler sich aus dem Homo erectus in Europa entwickelten, und nach Asien ausbreiteten. Jetzt wurde eine Studie über den Nesher-Ramla-Homo veröffentlicht.
Nesher-Ramla-Homo ist kein Neandertaler, sondern eine 130.000 Jahre alte Vorform. Sie hat sich wohl parallel in Israel entwickelt.
Der jüngst untersuchte Schädel des Homo longi aus China soll mindestens 146.000 Jahre alt sein. Forschende stellten fest, dass er ungefähr dem eines modernen Menschen entspricht. Einige gehen davon aus, dass es sich um eine neue Schwesternart von uns modernen Menschen handelt. Sie soll näher mit uns verwandt sein als der Neandertaler.
Andere glauben, es handelt sich um eine Unterart des Neandertalers, nicht um eine eigene Art. DNA-Spuren sollen Klarheit schaffen. Ob sie verwertbar sind, ist fraglich. Willst du mehr über die Studien wissen? Lies weiter.
So könnten Homo longi und Nesher-Ramla-Homo in unseren Stammbaum passen
Der rekonstruierte Schädel des Homo longi:
Hier hat "The Scientist" aus den Fundstücken durch virtuelle Ergänzungen den Schädel des Homo longi nachkonstruiert.
Externer Inhalt
Neandertaler oder Homo longi - Wer ist näher mit uns verwandt?
Bisher galt die Lehrmeinung, dass der Homo erectus von Afrika nach Europa kam, und sich hier zum Neandertaler entwickelte. In Afrika entwickelte sich aus dem Homo erectus der moderne Mensch, der Homo sapiens. Er kam Jahrhunderte später nach Europa und verdrängte den Neandertaler vor 40.000 Jahren. Der Homo sapiens war geistig überlegen. Beide Arten vermischten sich aber auch. Das beweisen Genanalysen.
Nun soll der Homo longi dem Neandertaler den Rang unseres nächsten Verwandten ablaufen. Der Schädel wurde bereits 1933 beim Bau einer Brücke im Nordosten Chinas gefunden. Ein internationales Team stellte jetzt fest, dass der Homo longi noch enger mit uns verwandt sein könnte als der Neandertaler.
Allerdings waren die Neandertaler nach alter Lehrmeinung auch erst weit später von Europa nach Asien ausgewandert. Hier könnte vielleicht der Fund des Nesher-Ramla-Homo aus Israel weiterhelfen. Wie? Lies nach dem Foto weiter.
Der Schädel des Nesher-Ramla-Homo
War der Neandertaler kein Europäer?
Auch die Ausgrabung des Nesher-Ramla-Homo in Israel sorgten für Aufsehen. Die Universität Tel Aviv veröffentlichte eine Studie, die nahelegt, dass es bereits dort in der Levante, dem östlichen Mittelmeerraum, einen Vorläufer des Neandertalers gab. Somit kam es wohl bereits dort zu einer Vermischung des modernen Menschen und dem Vor-Neandertaler.
Der Schädel des Nesher-Ramla-Homos besitzt eine ursprünglichere Form, ähnelt aber der Form des Neandertalers. Auch Zähne und Unterkiefer weisen eine Mischung auf, zeigen aber deutlicher in Richtung Neandertaler. Da die "Wanderoute" des Homo sapiens von Afrika aus viel früher in der Levante Halt machte, könnte es hier früher zur Genmischung gekommen sein.
Außerdem wäre es dann möglich, dass sich die Neandertaler-Vorformen von hier aus früher weiter nach Ostasien verbreiteten, als dies von Europa aus geschehen konnte. Das wiederum stützt die Theorie, dass der Homo longi aus China eine Unterart des Neandertalers sein kann – oder aber unsere Schwesternart.
Streit um andere Vorfahren des Menschen
💎 Australopithecus afarensis: 1974 entdeckten Forschende ein Skelett in Äthiopien und nannten es Lucy. Die Art lebte vor 3,7 bis 3 Millionen Jahre. Sie gingen teilweise aufrecht. Ihr Aussehen hatte menschen- und affenähnliche Züge. Deshalb wird Lucy oft als "Vormensch" bezeichnet, aber nicht der Menschengattung Homo zugeordnet. Den Namen erhielt Lucy, weil die Forschenden bei ihrer Entdeckung den Beatles-Song "Lucy in the Sky with Diamonds" hörten.
🔨 Homo habilis: Die ersten Fundstücke wurden 1960 entdeckt. Gelebt hat er wohl vor 1,9 bis 1,6 Millionen Jahren. Sein Name "geschickter, begabter Mensch" rührt daher, dass die Wissenschaft annahm er habe bereits Werkzeug benutzt. Es wird davon ausgegangen, dass er eine Lücke zwischen den Vormenschen wie Lucy und dem Homo erectus schließt.
🌍 Homo rudolfensis: Gefunden 1972 beim Rudolfsee in Kenia, sehen einige Forschende in ihm einen Australopithecus mit großem Gehirn. Bei seiner Entdeckung wurde er für einen Homo habilis gehalten. Viele sehen in ihm den ersten Vertreter der Gattung Homo. Doch seine Einordnung in den Stammbaum diskutiert die Wissenschaft nach wie vor, zumal es nur 1 gut erhaltenen Schädel gibt.
🥩 Homo erectus: Dieser "aufrechte" Vorfahre lebte vor 2 Millionen Jahren und sah heutigen Menschen sehr ähnlich. Entdeckt wurde er 1891. Er übersiedelte von Afrika nach Eurasien und gebrauchte wohl als erster das Feuer. Aus ihm entwickelte sich fern von Afrika der Neandertaler. In Afrika entwickelte sich aus ihm der moderne Homo sapiens. Vor 108.000 Jahren ist er ausgestorben. Er war die erste Art, die ständig aufrecht ging und wahrscheinlich auch Fleisch erjagte.
💀 Homo heidelbergensis: Vor 800.000 Jahren lebte dieser Verwandte. Entdeckt wurde er 1907 in einer Sandgrube bei Heidelberg. Er ging wohl aus dem Homo erectus hervor. Allerdings war er schmaler, dafür aber größer. Forschende streiten, ob er ein gemeinsamer Vorfahre der Neandertaler und des modernen Menschen oder ein rein europäischer Vorfahre des Neandertalers war.
🧑 Homo sapiens: Die ersten Vertreter des modernen Menschen sind 300.000 Jahre alt, in Europa tauchte der "verständige Mensch" vor 40.000 Jahren auf. Auch heutige Menschen gehören zu dieser Art, die sich vor allem durch ein größeres Hirnvolumen unterscheidet. Einige Forschende glauben, er entwickelte sich aus verschiedenen Vorfahren regional. Die Mehrheit geht davon aus, dass er in Afrika entstand, und von dort aus die anderen Homo-Arten verdrängte.
Externer Inhalt
Nein. Menschenaffen und Menschen gehören zwar zur Familie der Hominiden, haben aber nur gemeinsame Vorfahren. Der letzte Vorfahre von Schimpanse und Mensch lebte vor 6 Millionen Jahren. Affen und Menschen entwickelten sich dann zu verschiedenen Seitenästen im Stammbaum, bildeten unterschiedliche Familien, Gattungen und Arten. Würde der Mensch vom Affen abstammen müsste er in direkter Linie im Stammbaum aus den Menschenaffen hervorgehen.
Es gibt "Kleine Menschenaffen", wie Gibbons und "Große Menschenaffen", zu denen Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse, und biologisch auch der Mensch gehören. In dieser Reihenfolge spalteten sie sich auch vom Stammbaum ab. Alle Großen Menschenaffen haben keinen Schwanz, bewegen sich aufrechter fort und besitzen ein wesentlich größeres Gehirn. Mit Schimpansen haben wir 98,4 Prozent der Gene gemein.
Die Gattung Homo tauchte ungefähr vor 2 Millionen Jahren auf, und zwar in Afrika. Da er Werkzeuge und Waffen bauen und das Feuer nutzen konnte, gelang es den ersten Verwandten aus der Gattung Homo, Afrika zu verlassen. Verschiedene Arten wie Homo erectus, Homo habilis und Homo rudolfensis lebten wohl parallel.
Das weiß niemand. Theorien besagen, dass der aufrechte Gang den Urmenschen beim Überblicken des hohen Grases in der Savanne einen Vorteil verschaffte. Sie setzten sich also durch. Durch den aufrechten Gang konnten die Hände anders genutzt werden, zum Werkzeuggebrauch. Auch das gab einen Vorteil. Es half bei der Jagd nach Fleisch, was wiederum dank Fett und Eiweiß über Generationen zu Wachstum des Hirns und zu mehr Intelligenz führte. Doch all dies ergibt kein vollständiges Bild der menschlichen Evolution.