Impfstoffe oder Insulin: viele Arzneien stammen von gentechnisch veränderten Organismen
- Veröffentlicht: 01.06.2021
- 14:45 Uhr
- Galileo
Mehr als 300 Arzneien werden mithilfe von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) hergestellt. Wie das funktioniert und wo die Rote Gentechnik in der Medizin noch zum Einsatz kommt, erfährst du hier. Im Clip: Wie man Lebensmittel gentechnisch verändert.
Das Wichtigste zur Arznei-Herstellung mit GVOs
Schon seit mehr als 35 Jahren werden Medikamente und Impfstoffe mithilfe von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) produziert.
Das Erbgut der Organismen haben Forscher dafür gezielt verändert: ein Gen ausgeschaltet, umgebaut oder ein neues eingeschleust - etwa das menschliche Gen für Insulin in ein Bakterium.
In Deutschland sind mehr als 300 Produkte (mit 258 Wirkstoffen) aus gentechnischer Herstellung erhältlich. Das sind 12 Prozent der bisher zugelassenen Wirkstoffe. Heute machen sie 50 Prozent der Neuzulassungen aus. Es sind größtenteils Infusionen sowie Injektionen. Welche Arzneien das genau sind, erfährst du weiter unten.
Derartige Wirkstoffe werden in großen, geschlossenen Stahl-Behälter produziert - und zwar von gentechnisch veränderten Bakterien (vor allem E. coli), Hefen oder Säugetier-Zellen.
Wichtig zu wissen: Nach der Aufreinigung sind im Endprodukt weder die GVOs noch Teile davon enthalten, sondern nur der gewünschte Wirkstoff.
Der Einsatz dieser Gentechnik in der Medizin und in der pharmazeutischen Forschung wird auch als Rote Gentechnik bezeichnet. Rot ist hierbei eine Anspielung auf die Farbe von Blut. Wo diese neben der Arzneimittel-Herstellung noch unverzichtbar ist, steht unten.
Arzneien, die mit GVOs produziert werden
💉 Antikörper für Impfstoffe gegen Grippe, Pneumokokken (Lungenentzündung), Humane Papillom-Viren (Gebärmutterhals-Krebs), Hepatitis B, Cholera und Meningokokken B.
🧁 Das Hormon Insulin auf das 2 Millionen Diabetiker:innen hierzulande angewiesen sind, das menschliche Wachstumshormon Somatotropin gegen Kleinwuchs.
🛑 Gerinnungshemmer zur Vorbeugung von Schlaganfall, Herzinfarkt, Thrombosen und Lungen-Embolien.
👀 Hyaluronsäure (ein wichtiger Bestandteil des Binde-Gewebes und der Gelenk-Flüssigkeit) zur Linderung von Arthrose, als befeuchtende Augen-Tropfen und zur **Wund-Versorgung.
🌀 Immun-Modulatoren, die das körpereigene Immunsystem stimulieren oder dämpfen. Solche Arzneien kommen bei Krebs und Autoimmun-Krankheiten wie Multipler Sklerose, Schuppen-Flechte und Arthritis zum Einsatz.
⚡ Therapeutische Antikörper zur Behandlung von Krebs, Asthma und zur Verhinderung von Abstoßungsreaktionen bei Transplantationen.
🧪 Enzyme, die etwa bei angeborenen Stoffwechsel-Störungen wie Mukoviszidose helfen.
🩸 Blutgerinnungsfaktoren zur Behandlung der Bluter-Krankheit und von Wunden; EPO-Präparate (ein blutbildendes Hormon), die einer Blutarmut bei Dialyse-Patient:innen vorbeugen
Beispiel Insulin: So funktioniert die Herstellung von Arzneien mit GVOs
- Schritt 1: Isolierung des Gens für Insulin aus menschlichen Zellen.
- Schritt 2: Einbau des Insulin-Gens in einen kleinen DNA-Ring, ein sogenanntes Plasmid. Vervielfältigung des Plasmids.
- Schritt 3: Einbringen der Plasmide in E. coli-Bakterien. Die Einbringung in Bäckerhefe ist ebenfalls möglich. Ab diesem Zeitpunkt besitzt jedes neue Bakterium - sie entstehen durch einfache Zell-Teilung - auch das Insulin-Gen.
- Schritt 4: Vermehrung und Wachstum der gentechnisch veränderten E. coli-Bakterien in einem großen Stahl-Behälter mit Nähr-Lösung und wohligen Temperaturen. Die Bakterien produzieren nun das Insulin.
- Schritt 5: Gewinnung des reinen Insulins durch Filtration und Aufreinigung.
Der Vorteil von Hefen: Sie produzieren ebenfalls das Insulin und geben es dann direkt in die Nähr-Lösung ab. Bei Bakterien muss es dagegen noch aus den Zellen isoliert werden. Dafür werden sie mechanisch aufgebrochen.
Hier ist die Rote Gentechnik unverzichtbar ist
📝 Früherkennung und Verlaufskontrolle etlicher Krankheiten wie Hepatitis, HIV, Krebs oder Borreliose
🧬 Nachweis von Erb-Krankheiten
🔬 Gen-Therapie - mehr dazu unten
💊 Personalisierte Medizin - etwa bei der Gabe einiger Medikamente, da sie bei manchen Menschen genetisch bedingt nicht wirken oder zu starken Nebenwirkungen (sogar zum Tod) führen können. Ihr Körper baut die Medikamente schneller, langsamer oder gar nicht ab.
👶 Vaterschaftstest mittels DNA-Analyse
🧫 Biomedizinische Grundlagen-Forschung an Hefe, Maus, Tau-Fliege und Faden-Wurm
Die Gen-Therapie
Im Rahmen einer Gen-Therapie versuchen Ärztinnen und Ärzte Krankheiten, die durch defekte Gene verursacht werden, zu heilen - beispielsweise die Bluter-Krankheit oder Mukoviszidose. Ihr Ziel: Das defekte Gen ausschalten oder gegen die korrekte Form austauschen.
Dafür werden dem Patienten Zellen entnommen, vermehrt, gentechnisch verändert ("korrigiert") und dann wieder dem Körper zugefügt.
Trotz vieler Forschung kommt die Gen-Therapie aktuell kaum zum Einsatz. Weniger als 10 Therapien waren 2020 in den USA und/oder der EU zugelassen.
Ein Problem: Bei diesem Verfahren ist es besonders wichtig, die DNA genau an der richtigen Stelle zu verändern und nicht aus Versehen woanders. Die neuartige Gen-Schere CRISPR/Cas könnte die Gen-Therapie in Zukunft revolutionieren, da sie die DNA sehr präzise schneidet.
So funktioniert Gen-Schere CRISPR/Cas
Mit CRISPR/Cas können Wissenschaftler DNA von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen präzise an einer ganz spezifischen Stelle verändern. Man nennt dies auch Genom-Editierung. Sie können so Gene ausschalten, einzelne DNA-Bausteine austauschen oder neue DNA-Sequenzen einbauen. Und so funktioniert das Ganze:
- Die Sonde CRISPR-RNA lotst die Gen-Schere (das Schneide-Protein Cas) genau zu der Stelle in der DNA, wo ein Gen verändert werden soll. Die RNA passt exakt auf die Ziel-DNA.
- Die "Schere" schneidet die DNA dort durch. Zelleigene Reparatur-Systeme bauen den durchschnittenen DNA-Strang kurz darauf wieder zusammen: Dies kann zufällig ablaufen, wobei an der Bruch-Stelle einzelne DNA-Bausteine entfernt oder "falsch" zusammengesetzt werden. Das Gen wird so ausgeschaltet, da es nicht mehr korrekt abgelesen werden kann.
- Es ist aber auch möglich, den DNA-Strang gezielt zu reparieren und einen leicht veränderten oder einen fremden DNA-Abschnitt einzubauen.
Oha! Hautcreme mit gewissem Extra
👉 Neuerdings setzt auch die Kosmetik-Industrie vermehrt auf gentechnische Verfahren.
👄 Auf diese Weise hergestellte Hyaluronsäure dient etwa der Falten-Unterspritzung und Lippen-Modellierung.
🕸 Seiden-Proteine sollen die Haut vor Umwelt-Einflüssen schützen und Falten mildern, ohne deren Atmung einzuschränken. Produziert werden die Proteine von Bakterien in die Forscher ein Spinnenseiden-Gen eingebaut haben.
👱♀️ Ebenfalls heiß begehrt sind Enzyme: Sie können das Hautbild verbessern, da sie überschüssiges Hautfett entfernen oder Fältchen glätten, indem sie verhornte Zellen abbauen. Das Anti-Aging-Enzym Coenzym Q10 soll die Folgen von oxidativem Stress mindern und so die Haut jünger erscheinen lassen.