Kommunismus und Sozialismus: Haben diese Systeme eine Zukunft?
- Veröffentlicht: 18.07.2022
- 17:30 Uhr
- Sven Hasselberg
Der Kommunismus gilt als politisches Auslaufmodell. Doch einige Staaten halten daran fest. Andere wenden sich wieder härteren Formen des Sozialismus zu. Bei uns erhalten gemäßigte sozialistische Ideen wieder Rückenwind. Wir erklären dir die Unterschiede.
Das Wichtigste zum Thema Kommunismus
Bereits im 19. Jahrhundert gab es Theorien über gemeinschaftliches Eigentum und eine Gesellschaft ohne Klassen. 1848 erschien das "Manifest der Kommunistischen Partei" von Karl Marx und Friedrich Engels. 1867 kritisierte Marx die kapitalistische Gesellschaft und ihre Reichen in "Das Kaptial".
Staaten wie die Sowjetunion bekannten sich nach dem 1. Weltkrieg zu einer kommunistischen Gesellschaft. Andere, wie die DDR, folgten nach dem 2. Weltkrieg. Alle Menschen sollten gleich sein und alles allen gehören. Die Realität sah schon damals oft anders aus: Partei-Bonzen genossen Privilegien.
Manchen kommunistischen Regimen werden Verfolgung, Folter, Mord vorgeworfen. Menschenrechte werden nicht beachtet. Freie Wahlen gibt es nicht. Heute werden 5 Staaten kommunistisch regiert. Neben China sind das Laos, Kuba, Vietnam und Nordkorea.
Regierungen wie die von Venezuela setzen auf harten Sozialismus, bei dem das Volk sogar hungert. Andere Staaten, wie zum Beispiel Sri Lanka, bezeichnen sich als demokratisch sozialistisch.
Wir erklären dir die unterschiedlichen Facetten von Kommunismus und Sozialismus im Laufe der Geschichte und rund um den Globus. Willst du wissen, welche demokratischen sozialistischen Ideen einige Parteien 2021 auch in Deutschland formulieren? Lies weiter.
Kommunismus und Sozialismus - viele Facetten
Die Kapitalisten waren laut Karl Marx all jene Fabrikanten, Adelige und Großbürger, die besonders durch die Industrialisierung im 19. Jahrhundert die Arbeiterklasse ausbeuteten und so viel Kapital anhäuften.
Um diese Verhältnisse zu ändern, forderten er und Friedrich Engels eine Gesellschaft ohne Klassen. Produktionsstätten, Industrie oder Land gehörten allen. Jeder sollte mit dem, was er benötigte, automatisch versorgt sein. Im System des Kommunismus sollte die Arbeiterklasse die Macht übernehmen.
Ähnliche Ideen gab es schon vor Marx. Solche Utopien von einer gerechten Gesellschaft, in der alle gleich sind, werden als "Frühsozialismus" bezeichnet.
Die Bezeichnungen Sozialismus und Kommunismus werden oft für das gleiche System benutzt. Marx und später auch Wladimir Iljitsch Lenin sahen im Sozialismus, der Machtübernahme durch die Arbeiter, eine Vorstufe. Die "Diktatur des Proletariats" führte dann zur Gesellschaft ohne Klassen, zum Kommunismus.
Es entstanden unterschiedliche Strömungen. Sie wurden nach den Machthabern benannt, die sie in ihren Ländern einführten: Leninismus, Stalinismus, Maoismus, Titoismus und andere. Eine starke Partei kontrolliert alles. Militär und Geheimdienste besitzen große Macht und bespitzeln auch die eigenen Bürger:innen. Menschenrechte werden eingeschränkt oder ganz abgeschafft.
Die Karten zeigen, wie viele Staaten zu Beginn der 80er-Jahre noch von Kommunisten regiert wurden. Im Kalten Krieg prallten die kommunistische Ideologie des "Ostblocks" und der Kapitalismus des "Westens" aufeinander. Heute sind weltweit fünf Staaten übrig, die kommunistisch regiert sind. Und es gibt "Grauzonen" - weitere Länder, die sich wieder einem härteren Sozialismus zuwenden.
Kommunismus damals und heute
Kommunismus und Sozialismus: Haben diese Systeme eine Zukunft?
Hier regiert der Kommunismus noch heute
🇨🇳 China: Die einzig verbliebene kommunistische Großmacht ist als Global Player Wirtschaftsmacht und riesiger Markt zugleich. Präsident Xi Jiping ist Generalsekretär der Partei und Oberbefehlshaber des Militärs. Im Parlament, dem Nationalen Volkskongress, tagen zwar Vertreterinnen und Vertreter des Volkes. Seit 1949 wird aber alles von der kommunistischen Partei gesteuert. Der Kongress beschließt deren Vorgaben. Fundamentale Menschenrechte werden ignoriert. So werden nicht nur Presse und das Internet zensiert, Kritiker werden mitunter verfolgt oder wirtschaftlich erpresst.
🇨🇺 Kuba: Seit 1959 regierten die Brüder Fidel und Raul Castro mit der Kommunistischen Partei und harter Hand. Privatbesitz oder das Gründen einer eigenen Firma sind erst seit 2010 erlaubt. Wirtschaftskrisen hatten Lockerungen erzwungen. Reisefreiheit genießen Bürger:innen erst seit 2013. Miguel Diaz-Canel übernahm 2021 die Führung der Partei von Raul Castro. Politische Lockerungen sind nicht in Sicht.
🇰🇵 Nordkorea: Der Staat nennt sich "Demokratische Volksrepublik". Doch Demokratie und Freiheit existieren faktisch nicht. Die Familie Kim herrscht seit 1948. Derzeit ist Kim Jong-un Generalsekretär der Partei und "Oberster Führer". Er hat das Amt von seinem Vater geerbt und bewaffnet das Land bis an die Zähne. Das Volk hungert oft. Meinungsfreiheit gibt es nicht. Nordkorea hat sich vollkommen abgekapselt und gilt als eines der isoliertesten Länder weltweit.
🇻🇳 Vietnam: Nach dem Vietnamkrieg entstand aus Nord- und Südvietnam 1976 die Sozialistische Republik Vietnam. Die Einheitspartei übt staatliche Zensur aus. Seit den 80er-Jahren verbesserte sich die wirtschaftliche und soziale Situation. Der Staat modernisiert sich, doch die Einhaltung der Menschenrechte steht in der Kritik. Seit 2001 gibt es mit den USA ein Handelsabkommen.
🇱🇦 Laos: Der Staat ist marxistisch-leninistisch. Seit 1975 herrscht die Revolutionäre Volkspartei. Ihr Generalsekretär ist auch Präsident. Laos hat zwar Menschenrechtskonventionen anerkannt, doch in der Praxis mahnen Kritiker die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit an. Die Verfassung beschwört keine "Diktatur des Proletariats". Durch Tourismus und Reformen lebt der Staat auch marktwirtschaftliche Tendenzen. Gerichte sind nicht unabhängig, die Korruption blüht.
Sozialistische Forderungen in Deutschland 2021
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden 1949 die zwei deutschen Staaten. In der DDR baute die "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands", SED, angelehnt an die Sowjetunion, ihr Unrechtsregime auf. In der Bundesrepublik wurde die Kommunistische Partei KPD 1956 verboten.
Nachdem Mauerfall, trat die PDS, die "Partei des Demokratischen Sozialismus" als Nachfolgepartei in die Fußstapfen der SED. 2007 formierte sich unter anderem daraus "Die Linke". Auch sie gilt als demokratische sozialistische Partei. Kritiker:innen bemängeln, dass sich einige Mitglieder der Linken nicht ausreichend von der DDR als Unrechtsstaat distanzieren.
Schon im 19. Jahrhundert formierte sich die heutige SPD, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, als eine nicht kommunistische Vertretung der Arbeiterklasse. Sie beruft sich in ihrem Grundsatzprogramm auf demokratischen Sozialismus und die Vorsitzende Saskia Eskens bestätigte dies 2020. Sowohl SPD als auch die Linke wollen keinen Sozialismus im sowjetischen Sinn, sondern mehr soziale Gerechtigkeit, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Jede will auf sehr unterschiedliche Weise einen gerechteren Sozialstaat schaffen. Hierzu gehören Ideen wie der Mieten-Deckel oder eine staatliche Regulierung des Marktes für Strom und Wasser.
Die Worte "Kollektivierung" und "Enteignung" bringen stets die Kritikerinnen und Kritiker des Sozialismus auf den Plan, erinnert die Wortwahl doch sehr an die der Alt-Kommunisten. Allerdings ist gerade im Baurecht eine Enteignung zum Wohle aller bereits gesetzlich möglich.
Sobald es um eine Umverteilung geht, wird die "Sozialismus-Keule" von Gegnerinnen und Gegnern schnell geschwungen. So auch bei der Diskussion, dass die Patente der Corona-Impfstoffe, besonders zum Wohl der ärmeren Länder freigegeben werden sollten.
Sechs Staaten, in denen der Sozialismus verankert ist
🇻🇪 Venezuela: Der sozialistische Präsident Nicolás Maduro regiert das Land seit 2013. Die Bevölkerung leidet unter dem Mangel an Lebensmitteln oder Medikamenten. Selbst der Öl-Reichtum versiegt in der maroden Wirtschaft. Gerichte und die Wahlkommission sind nicht unabhängig. Parlamentspräsident Juan Guaido warf Maduro Betrug bei der Wiederwahl 2018 vor und rief sich zum Interims-Präsident aus. Oppositions-Politiker wurden von Maduro verhaftet. Die Opposition boykottierte die Parlamentswahl 2020, da diese nicht frei und fair verlief. So hat Maduro auch die Macht im Parlament übernommen.
🇧🇴 Bolivien: Lange feierte der Staat sein Modell des Sozialismus des 21. Jahrhunderts als Erfolg. Mit der Wahl 2005 verstaatlichte Präsident Evo Morales Öl- und Gasvorkommen sowie weitere Konzerne. Vorerst florierte die Wirtschaft. Öffentliche Investitionen flossen. Nach und nach gingen viele Staatsunternehmen bankrott. Die Rechte der Bevölkerung wurden eingeschränkt, Oppositionelle verfolgt, es herrschte staatliche Zensur. Als das Volk 2019 bei der Wahl Betrug durch Morales witterte, ging es auf die Straße und Morales floh ins Exil. 2020 gewann sein politischer Ziehsohn Luis Arce. Die Neuordnung des Landes dauert an.
🇳🇮 Nicaragua: Das Land besitzt eine lange sozialistische Tradition. Seit 2007 regiert Präsident Daniel Ortega. Seine Frau Rosario Murillo ist Vizepräsidentin. Nach Jahren staatlicher Ausgaben wurde Nicaragua von einer Wirtschaftskrise gebeutelt. 2018 brachten Sozialreformen das Volk auf die Straße. Der Aufstand wurde gewaltsam niedergeschlagen. Im November 2021 stehen Wahlen an, Oppositionelle ließen Ortega verhaften.
🇱🇰 Sri Lanka: Die Staatsbezeichnung lautet Demokratische Sozialistische Republik. Zwei Parteien wechselten sich beim Regieren lange ab: die sozialistische "Sri Lanka Freedom Party" und die "Sri Lanka Volksfront". Bei der Wahl 2020 wurden sie aber von zwei relativ neue Parteien, der SLPP und der SJB abgelöst. Aktuell regiert Mahinda Rajapaksa, der Chef der SLPP. Die wichtigsten Medien sind in Staatsbesitz. Nach dem Bürgerkrieg, der 2009 endete, ging es dem Land durch Tourismus und Tee-Export ein Zeit lang relativ gut. Seit 1977 fördert der Staat die Privatwirtschaft. Aktuell steckt Sri Lanka in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. Stromausfälle, knappe Lebensmittel, Treibstoffe und Medikamente machen der Bevölkerung zu schaffen. Es droht der Staatsbankrott.
🇳🇵 Nepal: Seit 2018 regiert Premierminister Khadga Prasad Oli die parlamentarische Mehrparteien-Demokratie. Er gehörte der marxistisch-leninistischen Partei an. 2018 vereinigte sie sich mit ihrer maoistischen Schwesterpartei. So gewannen sie die Wahl. Innerparteiliche Machtkämpfe brachen aus, weshalb Oli die Präsidentin 2020 bat, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Das führte zu Unruhen. Gegen Oli gibt es Korruptions-Vorwürfe.
🇪🇷 Eritrea: Das ostafrikanische Land wird von einer Einheitspartei regiert. Die bezeichnet sich selbst als marxistisch. Seit der Unabhängigkeit 1993 regiert Präsident Isaias Afwerki autokratisch. Offiziell befindet sich das Land fast 30 Jahre in einer "Übergangsphase". Die Verfassung trat nie in Kraft, ein echtes Parlament gibt es nicht. Viele Unternehmen sind staatlich gelenkt.
Sechs Formen des Kommunismus
Kommunismus und Sozialismus: Haben diese Systeme eine Zukunft?
Die Geschichte des Kommunismus
1848: veröffentlichen Karl Marx und Friedrich Engels das "Manifest der Kommunistischen Partei". 1867 bringt Marx "Das Kapital" heraus. Beide fordern eine Gesellschaft ohne Klassen, in der Gemeinschaftseigentum besteht.
1917: Nach dem Bürgerkrieg in Russland stürzen Lenin und die Bolschewisten den Zaren. 1922 gründen sie die Sowjetunion.
1919: In Deutschland gründet sich die Kommunistische Partei, KPD, unter anderem dabei Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin. Luxemburg und Liebknecht werden noch im selben Jahr ermordet.
1945: Nach dem Zweiten Weltkrieg teilen die Alliierten Deutschland in vier Besatzungszonen. Aus der sowjetischen entsteht 1949 die Deutsche Demokratische Republik, DDR. Sie war sozialistisch und nur dem Namen nach demokratisch. Die britische, französische und US-Zone werden zur Bundesrepublik Deutschland.
1949: Mao Zedong proklamiert die Volksrepublik China. Der Kommunismus übernimmt die Macht in Peking. Der Westen gründet die NATO als Verteidigungsbündnis.
1950: Im Korea-Krieg stehen sich der kommunistische Norden und der Süden gegenüber, der von den USA unterstützt wurde. Er dauert drei Jahre. Am Ende wird die Grenze festgelegt. Sie gilt heute als die am besten bewachte der Welt.
1953: Am 17. Juni kommt es in der DDR zu Volksaufständen und somit zu Kritik am Regime. Sie werden von sowjetischen Truppen niedergeschlagen.
1955: Osteuropäische Staaten, wie Polen und Ungarn, haben sich nach dem Krieg an die Sowjetunion angelehnt, sind kommunistisch. Sie gründen den Warschauer Pakt zum militärischen Beistand. In Asien bricht der Vietnamkrieg aus. Der kommunistische Norden kämpft gegen den Süden und die USA.
1959: Fidel Castro übernimmt in Kuba die Macht. 1962 führt die Kubakrise fast zum 3. Weltkrieg. Die Sowjets hatten Raketen auf der Insel stationiert, deren Reichweite die USA einschloss. Die Krise wurde diplomatisch gelöst.
1961: Das DDR-Regime baut die Mauer.
1968: In der Hauptstadt der Tschechoslowakei blüht der Prager Frühling. Das Land wollte sein kommunistisches System reformieren und demokratisieren. Die Sowjetunion lässt dies nicht zu. Im Sommer marschieren die Truppen des Warschauer Paktes auf und schlagen die Aufstände nieder.
1975: Der Vietnamkrieg endet. Die USA ziehen sich zurück. Vietnam bleibt kommunistisch. Auch Laos und Kambodscha wenden sich dem Kommunismus zu.
1979: Der NATO-Doppelbeschluss kündigt die Stationierung von Atomraketen in Westeuropa an. Der Kalte Krieg zwischen dem "kapitalistischen Westen" und dem "sozialistischen Ostblock" erreicht mit den 80ern seinen Höhepunkt.
1985: Michail Gorbatschow wird Generalsekretär des Zentralkomitees der kommunistischen Partei in der Sowjetunion. Er führt mehr Offenheit und Demokratie unter den Stichworten Perestroika und Glasnost ein.
1989: In Europa fällt der Eiserne Vorhang, die Grenze zwischen Ost und West. Im Mai beginnt Ungarn die Grenzzäune zu Österreich zu öffnen. Hunderte Ostdeutsche fliehen über diesen Weg oder in die Prager Botschaft. Am 9. November fällt die Berliner Mauer. 1990 feiert Deutschland die Wiedervereinigung.
1991: Die Sowjetunion zerfällt. Mit dem Sturz des Kommunismus in der Sowjetunion fallen die Regime in zahlreichen Ländern, die von der Sowjetunion abhängig waren. Darunter viele afrikanische und auch lateinamerikanische Staaten.
1998: Hugo Chavez beginnt mit seinem "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" und der bolivarischen Revolution in Venezuela. Sein Nachfolger Nicolás Maduro setzt diesen bis heute fort. Die Menschen hungern, es fehlt am Nötigsten und immer wieder kommt es zu Aufständen und zur Massenflucht.
2008: Raul Castro übernimmt auf Kuba das Präsidentenamt von seinem Bruder Fidel. Ab 2010 öffnet Kuba langsam einige Branchen für die Privatwirtschaft. 2011 gibt Fidel auch den Parteivorsitz an seinen Bruder ab. Fidel stirbt 2016.
2011: Nach dem Tode von Kim Jong-il übernimmt dessen Sohn Kim Jong-un die Herrschaft in Nordkorea. Der "Oberste Führer" regiert bis heute diktatorisch.
2018: Raul Castro übergibt das Präsidenten-Amt auf Kuba an seinen politischen Ziehsohn Miguel Diaz-Canel. 2021 folgt der Parteivorsitz. Expertinnen und Experten erwarten weitere persönliche Freiheiten für die Bevölkerung, aber keine politischen Lockerungen.