Polizeigewalt: Wer kontrolliert die Polizei bei ihrer Arbeit
- Veröffentlicht: 16.01.2023
- 15:40 Uhr
- Galileo
Die Polizei kümmert sich um öffentliche Ordnung und Sicherheit. Aber wer wacht darüber, dass die Beamt:innen dabei legal vorgehen? Wer für die Kontrolle der Polizei zuständig ist und warum es daran Kritik gibt, erfährst du hier. Im Clip: Das darf die Polizei.
Das Wichtigste zum Thema Kontrolle der Polizei
Die Polizei ist Teil der Exekutive in Deutschland. Genauer ist die Polizei dafür zuständig, geltendes Gesetz durchzusetzen.
Um vor Kriminalität und Gefahren zu schützen, darf die Polizei unter der Maßgabe der Verhältnismäßigkeit in einer Notsituation auch physische Gewalt anwenden.
Übt die Polizei unrechtmäßig körperlichen Zwang aus, handelt es sich hingegen um nicht berechtigte Polizeigewalt.
Ob es sich im Einzelfall um verhältnismäßige oder unberechtigte Polizeigewalt handelt, überprüfen nach einer Anzeige die Staatsanwaltschaft und Gerichte. Die erforderliche Ermittlungsarbeit leisten Polizeibedienstete - in der Regel von nicht betroffenen Behörden.
Kritiker:innen fordern seit Langem Kontrollen unabhängig von der Polizei, zusätzlich zur kritischen Öffentlichkeit und zu parlamentarischen Untersuchungen.
Fälle von mutmaßlicher Polizeigewalt in Deutschland
Bei den folgenden Fällen handelt es sich um einen Auszug von Vorfällen, die in den letzten Monaten mediales Aufsehen in Deutschland erzeugt haben. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Hambach: 14. Januar 2023
In dem Tagebau Hambach, 20 Kilometer von Lützerath entfernt, wird der Polizei von den Demonstrierenden vorgeworfen, sie durch den Einsatz von Fäusten, Schlagstöcken und Pfefferspray zum Teil schwer verletzt zu haben. Es sei eine hohe zwei- bis dreistellige Zahl von verletzten Demonstrierenden zu beklagen. Die Politik forderte entsprechende Beweise zu den Vorwürfen ein.
Dortmund: 8. August 2022
Ein 16-jähriger Flüchtling wurde mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet. Angeblich soll der Teenager suizidgefährdet gewesen sein und sich in einer psychischen Krise befunden haben. Der Jugendliche soll die zwölf Polizist:innen vor Ort zuvor mit einem Messer angegriffen haben.
Oer-Erkenschwick: 7. August 2022
Ein 39-Jähriger soll in seiner Wohnung randaliert haben. Der Einsatz der Polizei wird von Unbeteiligten gefilmt. Angeblich hat die Polizei das Videomaterial der unbeteiligten Personen noch vor Ort gelöscht. Der 39-Jährige erlag später im Krankenhaus seinen Verletzungen.
Hier klären wir, ob man die Polizei beim Einsatz filmen darf.
Köln: 3. August 2022
Bei der Zwangsräumung einer Mietwohnung wurde ein 48-jähriger Mann erschossen. Dieser soll zuvor mit Gewalt gedroht haben. Der Einsatz milderer Mittel, um den Mann zur Aufgabe zu bewegen, blieb laut den Einsatzkräften vor Ort wirkungslos.
Frankfurt am Main: 2. August 2022
Ein 23-jähriger Mann soll im Bahnhofsviertel Prostituierte bedroht und Polizist:innen angegriffen haben. Der junge Mann stirbt vor Ort durch einen Kopfschuss, den ein Polizeibeamter abgegeben hat.
Wie die Kontrolle der Polizei abläuft
Je nach Bundesland unterscheidet sich die Kontrolle der Polizei. Denn über das Polizeirecht entscheidet generell nicht der Bund, sondern die Länder. Im föderalistischen Deutschland gibt's dementsprechend keine bundeseinheitlichen Regelungen.
Grundsätzlich darf die Polizei auch körperliche Gewalt anwenden, um für öffentliche Sicherheit zu sorgen. Der Einsatz muss jedoch stets verhältnismäßig sein und sich nach geltenden Gesetzen richten.
Bei Zweifeln an polizeilichem Vorgehen ist eine Anzeige möglich. Die Staatsanwaltschaft leitet dann ein Ermittlungsverfahren, das bei hinreichendem Verdacht mit einer Anklage vor einem Gericht landet.
Die Ermittlungsarbeit leistet wiederum die Polizei. Früher kontrollierten sich örtliche Behörden noch selbst. Inzwischen ermittelt aus "Neutralitätsgründen" in der Regel nicht die eigene Dienststelle der Angezeigten, sondern eine andere.
Dennoch kurios: Den Fall des getöteten 16-Jährigen in Dortmund ermittelt die Polizeibehörde in Recklinghausen - während die Dienststelle in Dortmund gegen die Recklinghäuser Kolleg:innen nach dem Tod eines 39-Jährigen bei einem Einsatz ermittelt.
Vorwurf "Kumpanei": Warum die Kontrolle der Polizei kritisiert wird
🙈 Im Kern besteht die Kontrolle der Polizei in Deutschland somit darin, dass Kolleg:innen gegen Kolleg:innen ermitteln. Polizistinnen und Polizisten kontrollieren demnach die Polizei selbst.
🤥 In diesem Umstand sehen Kritiker:innen das Hauptproblem: Wie umfangreich und intensiv gegen die Polizei ermittelt wird, bestimmt die Polizei im Prinzip eigenhändig.
🤝 Durch den Zusammenhalt in der Polizei insgesamt kann das laufende Ermittlungen beeinflussen. Der Vorbehalt: Wer loyal ist, verpetzt keine Kolleg:innen.
🤞 Interne Disziplinarverfahren durch Vorgesetzte halten Kritiker:innen dabei ebenso wenig für wirksam: Heutige Vorgesetzte waren früher selbst rangniedrigere Polizist:innen, über die sie nun das Kommando haben. Aufgrund von eigenen Erfahrungen drücken sie daher unter Umständen ein Auge zu.
😏 Hinzu kommt: Streng genommen unterstehen die Staatsanwaltschaft (Justiz) und die Polizei (Inneres) unterschiedlichen Ministerien und sind somit formal getrennt. Wegen der engen Zusammenarbeit sind auch zwischen diesen gegenseitige Einwirkungen jedoch denkbar.
Polizist:innen kommen selten vor Gericht
Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2020 bundesweit 4.565 Ermittlungsverfahren gegen Polizist:innen erledigt. In mehr als der Hälfte der Fälle (2.500) ging es um Gewaltausübung, in 22 Fällen sogar um Tötungsdelikte durch Polizeibedienstete.
2021 wurden 61 Fälle vor Gericht behandelt. Damit sank die Anzahl der erledigten Strafverfahren im Vorjahresvergleich um etwa 13 Prozent. 2020 waren es 70 Fälle. In wie vielen Fällen es zu einer Verurteilung gekommen ist, wird in der Statistik nicht erfasst.
Zur Einordnung: In Deutschland gibt es laut offiziellen Zahlen 300.000 vollzeitbeschäftigte Polizist:innen.
Einige werten die Quote als Beleg für die fast fehlerfreie Arbeit der Polizei. Demgegenüber sehen andere darin einen Beweis für die unzureichende Kontrolle der Polizei.
Forderung nach unabhängigen Kontrollen
🤨 Proteste und öffentliche Debatten zeigen, dass Teile der Bevölkerung in Deutschland an der Kontrolle der Polizei zweifeln.
🤯 Nils Melzer, ehemaliger Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen (UN), stellt für Deutschland beim Umgang mit Polizeigewalt sogar ein "Systemversagen" fest.
👮 Zwar haben viele Bundesländer bereits zentrale Beschwerdestellen bei der Polizei. Auch gibt es politische Kontrollen beispielsweise in Form von Untersuchungsausschüssen zu Großeinsätzen. Bei einer Ermittlung kontrollieren Kolleg:innen aber eben Kolleg:innen.
🕵 Für kritische Medien, Nichtregierungsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen und Bürgerinitiativen ist daher klar: Es braucht externe Überprüfungen von polizeilicher Arbeit, die unabhängig von der Polizei ablaufen.
👉 Eine zentrale Forderung ist die Einrichtung von selbstständigen Beschwerdestellen, an die sich Betroffene von Polizeigewalt wenden können.
🇩🇪 Bundesländer wie Rheinland-Pfalz haben bereits reagiert: Dort gehört es seit einigen Jahren zu den Aufgaben der Bürgerbeauftragten, sich um Beschwerden über die Landespolizei zu kümmern. In Nordrhein-Westfalen etwa ist geplant, einen unabhängigen Polizeibeauftragten am Landtag anzusiedeln.
🇬🇧 Vorbilder für externe Kontrollen der Polizei gibt's auch im Ausland: Beispielsweise gibt es in Großbritannien die Independent Police Complaints Commission (IPCC), die mutmaßliches Fehlverhalten der Polizei unabhängig untersucht und überwacht.
📷 Einen weiteren Beitrag für objektive Überprüfungen können zudem Body-Cameras leisten. In Deutschland sind sie - nicht zuletzt aus Datenschutzgründen - aber noch nicht immer und überall im Einsatz.
Hier erfährst du noch mehr zum Thema
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Kontrolle der Polizei
Bundeszentrale für politische Bildung (bpb): Gewalt durch und gegen Polizistinnen und Polizisten
Deutsches Institut für Menschenrechte: Unabhängige Polizeibeschwerdestellen
Arabi, T. (2017): Polizeilicher Zwang und dessen staatliche Kontrolle
Öffentlich-rechtliche Doku zum Thema
In einer rund 45-minütigen Doku geht auch der Westdeutsche Rundfunk (WDR) der Frage nach: Wer kontrolliert die Polizei?
Externer Inhalt
FAQ zum Thema: Wer kontrolliert die Polizei?
Unter Polizeigewalt wird der unmittelbare Zwang verstanden, den Polizist:innen zum Durchsetzen von geltendem Recht einsetzen dürfen. Unter der Vorgabe der Verhältnismäßigkeit darf die Polizei dazu auch körperliche Gewalt anwenden. Übt die Polizei hingegen unberechtigten körperlichen Zwang aus, handelt es sich um unrechtmäßige Polizeigewalt.
Ob es sich im Einzelfall um berechtigte oder unrechtmäßige Polizeigewalt handelt, entscheiden nach einer Anzeige die Staatsanwaltschaft und Gerichte. Die notwendigen Ermittlungen führen Polizeibedienstete aus - in der Regel von Behörden, deren Beamt:innen nicht angezeigt wurden.
Im Prinzip besteht die Kontrolle der Polizei in Deutschland aus der Ermittlung von Kolleg:innen gegen Kolleg:innen. Den Umfang der Untersuchung legt die Polizei somit selbst fest. Es besteht die Gefahr, dass loyale Kolleg:innen einander nicht verpetzen.
Eine zentrale Forderung ist der Einsatz von freien Beschwerdestellen. Ein Vorbild für externe Kontrollen der Polizei ist unter anderem Großbritannien. Dort überprüft die Independent Police Complaints Commission (IPCC) mutmaßliches Fehlverhalten der Polizei unabhängig.