Statuen stürzen: Was dafür und was dagegen spricht
- Veröffentlicht: 16.07.2020
- 18:45 Uhr
- Galileo
Im Zuge der "Black Lives Matter"-Bewegung stürzen Protestler weltweit strittige Denkmäler und fordern die Änderung heikler Straßennamen - auch in Deutschland. Notwendige Maßnahme oder wirkungsloser Vandalismus? Wir haben alle Argumente für dich im Überblick.
Dafür oder Dagegen: Das Voting-Ergebnis
So haben die Zuschauer in der Galileo-App abgestimmt.
Wo liegt das Problem mit manchen Denkmälern und Straßennamen?
Der gewaltsame Tod des US-Amerikaners George Floyd hat weltweit Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt ausgelöst. Als ein wichtiges Antirassismus-Zeichen sehen Demonstranten die Beseitigung mancher Statuen und Straßennamen von Persönlichkeiten, die in Verbindung mit Diskriminierung, Ausbeutung oder sogar Ermordungen stehen.
Diese Statuen stehen in der Kritik
Statuen stürzen: Was dafür und was dagegen spricht
Statuen stürzen: Das sagen die Befürworter
🛑 Die Ehrung von Rassisten muss aufhören, fordert Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). Personen, die für Leid und Verbrechen stehen, sollten nicht mit einer Statue geehrt werden - und von den Nachfahren der Opfer gesehen werden müssen.
😢 Die Statuen verletzen Menschen schlichtweg. Ihre Stimme muss gehört werden.
❗ Egal was man über problematische Statuen sagt: Ihre Wirkung bleibt erhalten. Deshalb müssen sie weg.
💡 Die Statuen sollten entfernt, aber nicht zerstört werden. Eine mögliche Lösung sieht Dr. Urte Evert, Museumsleiterin in der Zitadelle Spandau, in Museen als Endstation für unbeliebte Denkmäler.
Statuen stürzen: Das sagen die Gegner
💰 Statuen sind Kunstwerke, die von früheren Generationen mit einer bestimmten Absicht gemacht worden sind. Ulrike Wendland vom Nationalkomitee für Denkmalschutz verteidigt unbequeme Denkmäler und betont, dass Kulturgut nicht mutwillig zerstört werden darf.
🕰 Mit dem Entfernen der Statuen wird ihre Geschichte ausgelöscht. Sie müssen bewahrt werden, um zu erzählen: Was war Kolonialismus? Mit welcher Arroganz sind die europäischen Völker den afrikanischen oder südamerikanischen Ländern begegnet?
➕ Anstatt Statuen zu entfernen, sollten Denkmäler für die Opfer neben ihnen platziert werden. Die Nachfahren der Opfer könnten diese mit erarbeiten.
🏙 Denkmäler und Straßennamen sind ein Teil der Identität einer Stadt.
Wer entscheidet in Deutschland eigentlich über Denkmäler und Straßennamen?
📜 Denkmalpflege ist eine Sache der Bundesländer. Jedes Bundesland hat dafür ein eigenes Denkmalschutzgesetz.
✋ Die Vergabe von Straßennamen ist eine Angelegenheit der einzelnen Gemeinden. Meist stimmen Gemeindevertreter schon über die Namen ab, während die Bebauungspläne erst erstellt werden.
📩 Auch Bürger können sich an der Namensvergabe beteiligen. Zum Beispiel kannst du einen Vorschlag zur Abstimmung durch eine Nachricht ans Rathaus schicken.
🏖 Ein Straßenname muss jedoch bestimmte Kriterien erfüllen: Erstens muss er eindeutig sein. Er darf also nur einmal pro Gemeinde vorkommen. Zweitens sollte ein Name wie "Uferstraße" auch in Bezug zur tatsächlichen Lage stehen. Schließlich dienen Straßennamen vor allem der Orientierung.
Straßen umbenennen: Das sagen die Befürworter
🛣 Straßennamen begegnen uns tagtäglich und können daher sehr verletzend sein. Die "Mohrenstraße" in Berlin zum Beispiel ist laut Tahir Della "sowas wie der Stachel im Fleisch der schwarzen Community."
☝ Die Straßennamen wurden nachweislich nicht selbst von den betroffenen Menschen gewählt, sondern von weißen Menschen für schwarze Menschen ausgedacht.
Aus Mohrenstraße wird Glinkastraße
Jahrelang wurde über diesen Namen gestritten. Nun wird der U-Bahnhof "Mohrenstraße" in Berlin in "Glinkastraße" umbenannt - nach dem russischen Komponisten Michail Glinka. Die Straße selbst behält allerdings ihren Namen.
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Straßen umbenennen: Das sagen die Gegner
🙅♂️ Straßennamen sind eine Herkunftsbezeichnung und waren damals nicht als Geringschätzung oder rassistisch gemeint.
😴 Eine Straßen-Umbenennung bedeutet viel Aufwand: Beispielsweise müssen Personalausweise und Briefköpfe geändert werden.
Black-Lives-Matter-Skulptur ersetzt Statue von Sklavenhändler
In der englischen Hafenstadt Bristol haben Rassismus-Gegner heimlich eine Statue des britischen Sklavenhändlers Edward Colston (1636-1721) durch eine Skulptur der Black-Lives-Matter-Aktivistin Jen Reid ersetzt.
Im Juni hatten Demonstranten die Statue von Colston vom Sockel geholt und in den Hafen von Bristol geworfen. Die Protestierende Jen Reid hatte sich daraufhin auf den Sockel gestellt und war dabei fotografiert worden. Das Foto inspirierte den Londoner Künstler Marc Quinn zu einem Abbild der Aktivistin. Der Titel der Skulptur: "A Surge of Power" ("Eine Welle der Macht").
Doch die Statue war ohne Genehmigung der Stadtbehörden aufgestellt worden. Die Folge: Nur 24 Stunden später wurde sie wieder abtransportiert.
Nun wird sie im Museum aufbewahrt. Der Künstler Marc Quinn und die Aktivistin Jen Reid kündigten bereits an, dass sämtliche Erlöse aus dem Verkauf der Statue an Stiftungen gespendet werden, die sich für eine bessere Vermittlung der Geschichte des Sklavenhandels an britischen Schulen einsetzen.
Die Statue der Aktivistin Jen Reid musste ihren Platz schnell wieder räumen
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Was muss weg? Die Bewertung ist nicht einfach
🕓 Andere Zeiten, andere Sitten
Gesellschaftliche Werte und Haltungen wandeln sich im Laufe der Zeit. Was aus heutiger Sicht als ein Beispiel für alltäglichen Rassismus zählt, haben Menschen vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten mit einem anderen Zeitgeist wohl nur selten so wahrgenommen.
Bei der Bewertung einzelner Fälle helfen vor allem Stimmen aus der Wissenschaft. Historiker, Sprachwissenschaftler und Philosophen verstehen sich zwar nicht als Kultur- oder Sprachpolizei, die Erkenntnisse aus ihrer Forschung zu historischen Persönlichkeiten sind bei deren Einschätzung aber wesentlich. Jeder Fall liegt dabei anders und braucht eine eigene Bewertung.
Ein grundsätzlicher Vorschlag nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von Antirassismus-Demonstranten: Gemeinden sollten eher Opfern und Menschen, die sich für sie eingesetzt haben, gedenken. Mahnmale wie etwa das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin zeigen, dass Ehrungen nicht nur der Selbstverherrlichung dienen müssen.
🌍 Rassismus betrifft uns alle
Mindestens genauso wichtig ist allerdings: Denkmalstürze und Namensänderungen allein lösen das Rassismus-Problem nicht. Unerlaubte Denkmalstürze wie der in Bristol, den du oben gesehen hast, sind letztlich eine Form von Vandalismus.
Auch bedeutet eine Beseitigung von Monumenten nicht, dass die historischen Personen vergessen werden sollten. Im Gespräch zu Hause oder im Klassenraum müssen auch die Verbrecher der Geschichte kritisch thematisiert werden. Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Für eine tolerantere und solidarischere Welt kann im Alltag jeder seinen Beitrag leisten.
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Antidiskriminierungsverband Deutschland