Tschernobyl: So hat sich das Sperrgebiet geändert
- Veröffentlicht: 07.05.2023
- 18:45 Uhr
- Alena Brandt
Tschernobyl als Lehrstätte: Ein Fotograf dokumentiert, wie sich die Natur eine verlassene Stadt zurückerobert. Ein Pilz mit Superkräften lockt die NASA an - und der Tourismus boomt. Im Clip: Galileo-Reporter Manuel reist nach Tschernobyl.
Tschernobyl: Die wichtigsten Fakten im Überblick
Am 26. April 1986 ereignete sich die bisher größte Reaktor-Katastrophe in Tschernobyl und hinterließ bleibende Spuren. Alle Details findest du in unserer Chronologie der Abläufe.
Bei der Explosion wurden Kernbrennstoffe wie Plutonium-239 (Pu-239) und Radionuklide wie Strotnium-90 (Sr-90) freigesetzt. Da Cäsium-137 (Cs-137) und Iod leichter und flüchtiger sind, wurden sie hauptsächlich übers Wetter und Höhenwinde in Europa verbreitet.
Die Belastung der Gebiete in der Ukraine, Belarus und Russland beträgt stellenweise bis zu 37.000 Becquerel pro Quadratmeter. Nach offiziellen Angaben lassen sich die betroffenen Flächen wie folgt beziffern: In der Ukraine (inklusive der Sperrzone) 41.800, in Belarus 46.500 und in Russland 57.000 Quadratkilometern.
Was sich seit dem im Sperrgebiet getan hat, erfährst du unten.
Tschernobyl: Geisterstadt, Naturparadies und Forschungs-Gebiet
☢️ Die "Chernobyl Exclusion Zone" hat ungefähr eine Fläche von 2.800 Quadratkilometern. Das entspricht etwa der dreifachen Fläche von Berlin. Noch strahlt das Gebiet radioaktiv.
🌱 Das Sperrgebiet gibt es seit 1986. Dort zeigt sich, wie die Natur sich eine verlassene Stadt zurückerobert.
🦅 Seltene Tiere wie Bisons, Przewalski-Pferde, Luchse und Adler finden Lebensraum. Sie sind dort (fast) ungestört von Menschen.
🧠 Forscher:innen untersuchen, wie sich Radioaktivität auf Tiere auswirkt. Laut einer Studie schrumpfen Strahlen das Gehirn von Vögeln, die rund um den Reaktor leben. Es ist fünf Prozent kleiner als bei Artgenossen aus anderen Regionen.
👩🔬 Die NASA erforscht einen schwarzen Pilz im verseuchten Reaktor. Er schützt sich vor Strahlung und wandelt sie sogar in Energie um. Der Strahlen-Pilz könnte künftig nützlich als Krebsmittel und für die Raumfahrt sein.
📷 Galileo sprach mit dem Fotografen David McMillan. Seine Bilder dokumentieren den Verfall der Stadt Prypjat.
Tschernobyl: Wie ist es da heute so? Galileo-Reporter Manuel war vor Ort
Externer Inhalt
Lage: Das Kernkraftwerk Tschernobyl und die Sperrzone
Tschernobyl: So hat sich das Sperrgebiet geändert
Tschernobyl: Betroffene Städte im Sperrgebiete
Das Atomkraftwerk Tschernobyl liegt etwa 1.500 Kilometer von Deutschland entfernt. Zur Landesgrenze nach Belarus sind es lediglich sieben Kilometer, bis zur ukrainischen Hauptstadt Kiew sind es 120 Kilometer. Die Stadt Prypjat ist gerade einmal knapp vier Kilometer entfernt und die namensgebende Stadt für das Atomkraftwerk Tschernobyl ist 18 Kilometer entfernt. Alle diese Gebiete fallen in den Radius der 30 Kilometer-Sperrzone um den Reaktor. Prypjat ist seit der Katastrophe eine Geisterstadt. Die gesamte 30 Kilometerzone gilt für mehrere Tausend Jahre als unbewohnbar.
Geisterstadt Prypjat: Dokumentation der Veränderung
Tschernobyl: So hat sich das Sperrgebiet geändert
Tschernobyl: So veränderte sich das Sperrgebiet
Tschernobyl: So hat sich das Sperrgebiet geändert
Interview mit Fotograf David McMillan
David McMillan ist Fotograf und reiste seit 1992 insgesamt 22 Mal in die Sperrzone nach Tschernobyl. Was er erlebte, erzählt der Kanadier im Interview.
Es klingt ziemlich verrückt, zig Mal in ein verseuchtes Sperrgebiet zu fahren. Was hat Sie angetrieben?
💬 Es war dort wie in einem Science-Fiction-Roman aus meiner Kindheit. Die Stadt Prypjat war verlassen, aber nicht zerstört. Bei der Explosion im Kernkraftwerk brannte nur der Reaktor, alles andere blieb intakt. Es gab so viele überraschende Motive - wie Bäume, die mitten in Hotelzimmern wuchsen. Ich wollte unbedingt mehr fotografieren. Nach zehn bis 15 Jahren merkte ich dann: Ich war zu einem Zeitzeugen geworden.
Inwiefern?
💬 Ich habe festgehalten, wie Gebäude zerfallen und sich zeitgleich Pflanzen ausbreiten. Die Natur erobert sich ihren Platz zurück. Das zeigen die Bilder in meinem Buch "Growth and Decay. Pripyat and the chernobyl exclusive zone." Es dokumentiert Zerfall und Wachstum.
Was hat Sie am meisten beeindruckt im Sperrgebiet?
💬 Die Stadt wirkte selbst 18 Jahre nach dem GAU, als hätte die Evakuierung erst vor Tagen stattgefunden: In den Schulen lagen noch Hefte mit Notizen auf dem Tisch. Die Menschen haben so viel zurückgelassen. Sie müssen in großer Eile gewesen sein bei der Evakuierung. Die Klassenzimmer sehen noch aus wie in der Sowjetunion damals. Mich faszinierte dieser Blick auf eine Kultur, die nicht mehr existiert.
Wie lange dauerten ihre Besuche - und gab es strenge Sicherheitsvorschriften?
💬 Ich bleib meistens für eine Woche. Anfangs in den 90ern musste ich nur die Kleidung wechseln. Ich sollte nicht mit der gleichen Jeans abends im Hotel essen gehen, mit der ich zuvor im Sperrgebiet rumlief. Ich bekam aber keine Sicherheitskleidung. Von Geigerzählern wussten die Menschen dort gar nichts. Die gab es erst später.
Und wer ließ Sie ins Sperrgebiet hinein?
💬 Die Regierung hatte eine Art Verwaltung aufgebaut, die sich um die Besucher kümmerte. Es waren in den ersten Jahren fast nur Journalisten, Wissenschaftler und Landschaftsarchitekten dort. Ich reiste immer mit Übersetzern und Fahrern. Als ich vor fünf, sechs Jahren den ersten Touristenbus in der Sperrzone sah, staunte ich nicht schlecht.
Atomkraft-Quiz: Kennst du dich aus?
Häufigsten Fragen zum Thema Tschernobyl
Bei einem Test zur Notstromversorgung wurde durch menschliches Versagen eine verheerende Katastrophe ausgelöst. Auch trugen gravierende Mängel in der Bauweise sowie Defizite in der Sicherheits-Struktur zum Unglück bei.
Die "Tschernobyl-Taucher" (Oleksij Ananenko, Walerij Bespalow und Borys Baranow) überlebten ihren damaligen Einsatz. Im Jahr 2005 verstarb Baranow, ein Zusammenhang mit Tschernobyl konnte nicht festgestellt werden. Bespalow und Ananenko sind Stand 2023 noch am Leben.
Es mussten etwa 350.000 Menschen nach dem Unfall umgesiedelt werden, 150.000 Quadratkilometer Landfläche wurden langfristig verseucht. Das Gebiet in der 30 Kilometer-Sperrzone gilt für Tausende Jahre als unbewohnbar.
Am 26. April 1986 zog eine radioaktive Wolke nach dem Reaktor-Unfall von Tschernobyl nach Deutschland. Die damalige Bundesrepublik und DDR waren unvorbereitet, Notfallpläne gab es keine.
Besonders stark wurden Bayern und der Südosten Baden-Württembergs getroffen. Dort sind die Auswirkungen noch immer in Pilzen und Wildfleisch messbar.