Tschernobyls Erbe: Welche Folgen die Katastrophe für Deutschland hat
- Aktualisiert: 05.11.2024
- 11:47 Uhr
- Alena Brandt
Nuklearwolken brachten radioaktive Stoffe von Tschernobyl bis zu uns. Eine unsichtbare Gefahr für die Gesundheit. Manche Gebiete, Tiere und Pilze strahlen noch immer. Obwohl die Nuklearkatastrophe über 30 Jahre her ist. Im Clip: Tschernobyl und die Folgen.
Tschernobyl: Das Wichtigste in Kürze
Tschernobyl ist die bis dato größte Reaktor-Katastrophe. Der Super-Gau ereignete sich am 26. April 1986 und hat dauerhafte Spuren hinterlassen. Hier findest du eine Chronologie der Abläufe.
Die Explosion setzte neben den Kernbrennstoffen wie Plutonium-239 (Pu-239) und Radionuklide wie Stronium-90 (Sr-90) frei. Cäsium und Iod sind hingegen leichter und flüchtiger. Sie breiteten sich insbesondere auch über Höhenwinde über große Gebiete bis nach Mittel- und Nordeuropa aus.
Gebiete außerhalb der Sperrzone in der Ukraine, Belarus und Russland wurden teilweise mit 37.000 Becquerel pro Quadratmeter als kontaminiert definiert. Die betroffene Fläche in der Ukraine (inklusive der Sperrzone) wird nach offiziellen Angaben mit 41.800, in Belarus mit 46.500 und in Russland mit 57.000 Quadratkilometern beziffert.
Zum Vergleich: In Deutschland sind Lebensmittel mit mehr als 600 Becquerel (Bq) Cäsium-137 (Cs-137) pro Kilo nicht im Handel erlaubt.
In Mitteleuropa ist heute nur noch das langlebige Cäsium von Bedeutung. So wurden 2019 um den Bayerischen Wald Maronenröhrlinge mit bis zu 2.100 Bq/kg gefunden. Bei Routinemessungen bei Wildfleisch wurden 2021 etwa 80 Becquerel pro Kilo gemessen. Der Maximalwert lag bei 802 Bq.
Radioaktivität und ihre Folgen
☢️ Radioaktivität heißt, dass Atomkerne zerfallen. Als Folge davon wird Strahlung frei. Das Tückische: Strahlung ist unsichtbar. Du kannst sie auch nicht schmecken, hören oder riechen.
🧬 Treffen ionisierende Strahlen auf den Körper, attackieren sie biologische Zellen und schädigen diese - je nach Zeitraum und Dosis der Strahlung. Sie verändern sogar die DNA, also das Erbgut.
💨 Kommt Radioaktivität auch in der Natur vor? Ja, wir nehmen sie etwa über Nahrungsmittel auf und wir atmen das Edelgas Radon mit der Luft ein.
🔥 Die Explosion in Tschernobyl setzte schätzungsweise das 200-Fache an Radioaktivität frei wie der Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki zusammen.
🌧️ Über Nuklearwolken gelangten radioaktives Cäsium und Jod von der Ukraine bis nach Deutschland. Wo es regnete, spülte der Regen die Substanzen in den Boden (siehe Grafik unten). Besonders süddeutsche Gebiete verseuchte der "Fallout".
👪 Spielplätze wurden geschlossen, Kühe durften nicht mehr auf die Weide, Landwirte mussten ihre Ernte wegen der Strahlenbelastung vernichten.
🚑 Mögliche gesundheitliche Folgen von hoher Strahlenbelastung: (Schilddrüsen-)Krebs, Leukämie, Schädigung des Fötus in der Schwangerschaft, Leukämie, gerötete Haut.
So verstrahlt sind Wald und Wild noch heute
Tschernobyl heute: Die Folgen der Atomkatastrophe für Deutschland
Tschernobyl: Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen in Deutschland
Strahlenbelastung von Pilzen in Deutschland
Besonders im Süden Deutschlands - hier vor allem südlich der Donau und im Bayerischen Wald - werden bei Messungen auch heute noch hohe Werte des langlebigen Cäsium-137 in Pilzen gemessen. 2019 wurden Maronenröhrlinge mit bis zu 2.100 Bq/kg gefunden. Normalerweise werden Werte von einigen Hundert Becquerel pro Kilo gemessen. Weitere belastete Speisepilze sind unter anderem der Braunscheibige Schneckling, Orangefalbe Schneckling, (Rotbraune) Semmelstoppelpilze, Reifpilze und Gelbstielige Trompetenpfifferlinge.
Strahlenbelastung von Wildfleisch in Deutschland
2021 wurde im Fleisch von Wildschweinen im Schnitt eine Belastung von etwa 80 Becquerel pro Kilo gemessen. Der Höchstwert lag bei 802 Bq pro Kilo.
In der EU gilt ein gesetzlicher Höchstwert von 600 Becquerel pro Kilo für Lebensmittel. Darüber sind Waren nicht verkehrsfähig und dürfen nicht in den Handel.
Die Folgen der Atom-Katastrophe für Menschen in Deutschland
Strahlenbelastung in Deutschland
Die Strahlenbelastung von Menschen in Deutschland beträgt heute laut Bundesamt für Strahlenschutz etwa 2,1 Millisievert pro Jahr. Der Wert wird davon beeinflusst, wo eine Person wohnt, was sie isst und wie sie lebt.
Der Unfall von Tschernobyl macht sich heute mit weniger als 0,01 Millisievert bemerkbar. Die Anzahl der Mess-Stationen für Radioaktivität nahm nach Tschernobyl deutlich zu.
Ernährung: Die Folgen der Tschernobyl-Katastrophe
1986 mussten Landwirtinnen und Landwirte tonnenweise verseuchtes Obst, Milch und Gemüse vernichten. Die Ackerböden erholten sich aber vergleichbar schnell, da dort viele Tonminerale vorkommen. Diese binden radioaktive Substanzen.
Nach der Tschernobyl-Katastrophe wurden Grenzwerte für Strahlung in Lebensmitteln eingeführt: Heute gilt der Wert von 600 Becquerel pro Kilogramm in der EU.
Humushaltige Waldböden sind teils bis heute belastet. Dort verdünnen und vermischen sich radioaktive Substanzen weniger und sind zudem mehr an der Oberfläche. Pflanzen und Pilze nehmen radioaktives Cäsium leichter auf. Fressen dann Wildtiere die Pflanzen, können sie ebenfalls belastet sein.
Wildschweine strahlen am stärksten. Sie wühlen mit ihren Nasen tief im Boden auf der Suche nach Trüffeln. Wildschweine aus Risikogebieten (siehe Grafik) prüfen Fachleute mit Detektoren auf radioaktives Cäsium, damit kein kontaminiertes Wildfleisch auf den Markt gelangt.
Gesundheitliche Folgen der Tschernobyl-Katastrophe
In Deutschland war die Strahlenbelastung nach Tschernobyl nicht so hoch, dass Menschen an den direkten Folgen gestorben sind. In der Ukraine starben aufgrund des Reaktorunfalls mehr Kinder an Schilddrüsenkrebs. In West-Berlin gab es neun Monate später einen Anstieg an Neugeborenen mit Trisomie 21 (Down-Syndrom).
Langfristige Strahlenschäden lassen sich nur schwer ermitteln. Ärtztinnen und Ärzte können nicht unterscheiden, ob ein Tumor aufgrund von Strahlung oder anderen Ursachen wächst. Zudem bilden sich Tumore häufig erst Jahre später. Ein Zusammenhang lässt sich dann nicht mehr sicher herstellen. Statistiken können Hinweise auf Strahlungsschäden geben, wenn es in einem Zeitraum etwa signifikant mehr Krebsfälle gibt.
Häufige Fragen zu den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe für Deutschland
Die Strahlenbelastung der Bevölkerung in Deutschland durch den Supergau in Tschernobyl beträgt gegenwärtig weniger als 0,01 mSv (Millisievert). Dadurch werden keinerlei messbare Auswirkungen auf die Gesundheit erwartet.
Radioaktives Material hat sich von Tschernobyl aus über ganz Europa verteilt. In Deutschland sind auch heute noch einige Regionen in Bayern und im Süden Baden-Württembergs betroffen.
Nach Angaben des Helmholtz Zentrum München hatten sich über der damaligen Bundesrepublik Deutschland zirka 230 Gramm Cäsium-137 abgelagert.
Nach der Kernkatastrophe wehte die radioaktive Wolke 1986 aus Tschernobyl nach Deutschland.
In der Sperrzone von Tschernobyl werden Werte bis zu 100 Mikrosievert pro Stunde gemessen. Die natürliche Ortsdosisleistung in Deutschland liegt zwischen 0,06 und 0,2 Mikrosievert pro Stunde.